Die ersten Sonnenstrahlen blinzeln schon über die Bäume. Ich treffe Lisa im nahegelegenen Park. Sie wollte sich nicht im Büro treffen und fand den Vorschlag super, unseren Termin ins Freie zu verlegen. Um 7.00 Uhr morgens sind wir hier noch ungestört. Mit zwei Getränkebechern in den Händen kommt sie mir strahlend entgegen. 

Alexander: Guten Morgen Lisa. Du bringst Kaffee mit?
Lisa: Nein. Tee, sorry. Der gehört für mich zum Morgenritual. Dachte, ich bring dir auch einen mit.
Alexander: Danke. Du strahlst heute so, hat sich deine Situation seit letzter Woche verändert?
Lisa: Ach nein, das täuscht. Wenn man tagtäglich verstecken muss, wie es einem wirklich geht, wird man irgendwann ganz gut darin. Aber es ist anstrengend, richtig anstrengend, das kannst du mir glauben.

Wir setzen uns auf eine sonnige Parkbank und ich frage Lisa nochmal, ob sie keine Möglichkeiten sieht, wie sie ihre Situation doch noch beeinflussen könnte. Dort, wo für Lisa begrenzte Einflussmöglichkeiten bestanden, hat sie bereits versucht durch gute Gespräche die beteiligten Personen zu einer gemeinsamen Lösung zu bewegen, leider erfolglos. Sie sagt selbst, dass sie an diesem Punkt nichts mehr machen kann und das auch nicht weiterverfolgen möchte.

Lisa: Was soll ich tun, gehen oder doch bleiben? Es fällt mir so schwer das zu entscheiden, weil ich das Potential sehe, das da ist. Wo finde ich das denn sonst?
Alexander: Du hast gesagt, du hast jetzt zwei Möglichkeiten: gehen oder bleiben und du weißt nicht, wie du dich entscheiden sollst. Ich habe dazu etwas vorbereitet und die beiden Möglichkeiten auf Kärtchen geschrieben, ich lege sie dir hier am Boden vor unserer Bank auf. Stell dich doch bitte mal zum Kärtchen „bleiben“.

Lisa steht auf und stellt sich mit ihrem Teebecher in der Hand zur Karte.

Alexander: Wie fühlt sich das an?
Lisa: Hmm … im ersten Moment … nicht gut.
Alexander: Was fällt dir dazu ein?
Lisa: Aufgeben. Stehenbleiben. Nicht weiterkommen … wie heißt der Begriff …
Alexander: Feststecken?
Lisa: Ja genau, Feststecken. Das fühlt sich an, als würde ich hier feststecken. Das will ich nicht.

Alexander: Stell dich doch bitte mal zum „gehen“ Kärtchen. Wie ist das?

Lisa richtet sich auf und geht mit großen Schritten zur anderen Karte.

Lisa: Erleichternd … und etwas beängstigend. Fühlt sich aber besser an als dort drüben.
Alexander: Du fühlst dich erleichtert, dort wo du jetzt stehst. Und du sagst, etwas beängstigend. Gehen fühlt sich besser an als bleiben.
Lisa: Ja, aber ganz glücklich bin ich mit beidem nicht, du weißt ja.
Alexander: Ok, du bist mit meinen beiden Karten noch nicht happy, das habe ich verstanden. Zum Glück habe ich noch eine Karte für dich.

Lisa wippt lächelnd hin und her, als könnte sie es kaum erwarten. Ich hole die Karte „beides“ aus meiner Tasche und lege sie mit etwas Abstand oberhalb der beiden anderen Karten auf. Lisa geht sofort zur Karte und stellt sich darauf. Sie schaut auf die Karte.

Lisa: Was soll beides sein?
Alexander: Beides, gehen und bleiben.
Lisa: Das verstehe ich nicht, was meinst du damit?
Alexander: Ein Beispiel wäre z.B. Teilzeit. Du reduzierst deine Stunden, also gehen, und bleibst doch im Unternehmen.
Lisa: Ah, verstehe … darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber weißt du, worüber ich schon öfter nachgedacht habe? In meiner Familie sind fast alle kreativ und selbstständig tätig. Das würde ich auch gerne machen, ohne meinen Job in der Personalentwicklung aufgeben zu müssen. Mit Teilzeit könnte ich beides machen.

Alexander: Fällt dir dazu noch etwas ein?
Lisa: Hmm … Karenz wäre noch eine Möglichkeit, obwohl ich das gerade nicht geplant habe.
Alexander: Du sagst Karenz, das bringt uns zur vierten Karte, „keines“.

Ich hole die vierte Karte und lege sie gegenüber von Lisa auf den Boden. Diesmal bleibt sie stehen und schaut aus der Entfernung zu mir.

Lisa: Ein Sabbatical wäre dazu noch eine Möglichkeit. Irgendwie gehe ich, könnte aber wieder kommen. Zumindest für eine bestimmte Zeit.
Alexander: Du sagst also, eine Karenz wäre eine Möglichkeit, aber derzeit eher nicht. Oder du könntest eine Auszeit mit einem Sabbatical nehmen. Möchtest du dich mal hierherstellen und schauen, ob dir noch was dazu einfällt?

Lisa lacht und schüttelt den Kopf.

Lisa: Nein, ich bleibe hier. Hier gefällt es mir.

Lisa bleibt noch eine Weile auf der Karte „beides“ stehen und wir sprechen über kreative Berufe in ihrer Familie, ihre Leidenschaft für Handwerk und Menschen. Plötzlich klingelt ihr Handy. Die Zeit ist um. Lisa muss zu einem Termin. 

Lisa: Jetzt hast du mir echt viel zum Nachdenken mitgegeben. Danke und bis nächste Woche.